Pssst…!
- Daniel
- 14. Mai 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Jan.
Tabuthemen führen zu einer verkorksten Diskursfähigkeit. Wie es dennoch gelingt, mit der nötigen Empathie und Feingefühl inhaltsschwere oder tabuisierte Themen anzusprechen. Und: Wie wir mit einer hohen Dialogfähigkeit unsere Demokratie stützen.

Erst kürzlich sass ich mit einem guten Freund zusammen. Lange war es her, seitdem wir uns das letzte Mal getroffen haben. Viel gab es zu berichten und auszutauschen. Wir plauderten über Gott und die Welt. Und plötzlich ging es im Verlauf des Treffens tatsächlich um Gott, Religion und Glauben. Unabhängig davon, wer an was glaubt oder welcher Religion angehört: Ein heisses Eisen. Allgemein bekannt ist, dass Politik und Religion als schwere Themen definiert sind und rasch zu einem Disput führen können. In unserem Gespräch fiel denn auch der Satz: "Themenwechsel. Komm lass uns über deinen neuen Job sprechen". In unserem Gespräch trafen unmittelbar keine grundlegend unterschiedlichen Auffassungen über Religion und Glauben aufeinander. Dennoch schien es für uns beide ein Thema zu sein, das Emotionen auslöste. Und die Gefahr lauerte, dass wir uns in etwas hineinsteigern, dass wir so gar nicht anstrebten. Einige Tage später sinnierte ich noch lange darüber nach, weshalb es gesellschaftlich relevante und spannende Themen gibt, bei denen wir blocken. Bewusst oder unbewusst einen Dialog oder ein Gespräch unterbrechen oder gar nicht zulassen. Müsste es besonders in einer direkten Demokratie nicht zwingend so sein, dass wir wieder mehr den Dialog fördern anstatt abzublocken? Haben wir die Dialogfähigkeit verloren? Oder verlernt?
Zuerst aber einmal einleitend eine Zusammenfassung des interaktiven Kompetenzanlasses der FH Wien, zur Bedeutung von Dialogfähigkeit: Dialogfähigkeit bezeichnet die Befähigung einer Person, im verbalen Dialog – der stets nonverbale Elemente einschliesst – Sympathien zu gewinnen, Sachverhalte klar zu umreissen und sie auch für andere einsehbar darzustellen, notwendige Arbeits- und Handlungsschritte sicher zu begründen und mitreissend ins Gespräch zu bringen, die eigene Sicht und die eigenen Normen- und Werthaltungen verständlich zu machen und sie via Überzeugung und Vorbildwirkung auch auf andere zu übertragen; sie beinhaltet eine „Gewinner-Gewinner-Einstellung“.
Besonders die Pandemie hat gezeigt, dass sich aufgrund der pandemiebedingten verstärkten Politisierung teils grössere Gräben innerhalb der eigenen Familien oder engen Freunden auftun können, sobald eine unterschiedliche Auffassung zu einem Thema diskutiert wird. Es gibt Team A und Team B. Beide haben dabei den Anspruch dem richtigen Team dazugehörig zu sein. Alles von der eigenen Meinung Abweichende ist dabei falsch. Fanden früher Dialoge am Familien- oder Stammtisch statt, also von Angesicht zu Angesicht, haben sich Dialoge in der heutigen Zeit in den virtuellen Raum verschoben. "Dialoge und Gespräche sind heute vielfach medienvermittelnd" meint dazu passend der deutsche Politikwissenschaftler Roland Roth. Heisst, in den (un-)sozialen Medien ist viel rascher eine unreflektierte Meinung kundgetan, als wenn ich im direkten Gespräch mit jemanden stehe. Die Qualität der Demokratie wackelt dabei, da es nur noch das Eine oder das Andere gibt. Gut oder schlecht. Richtig oder falsch. Schwarz oder weiss. Die vielen farbigen Zwischentöne gehen dabei verloren. Soziale Medien stärken aufgrund des Algorithmus die "Bubble-Bildung". Eigene Argumente werden beispielsweise aufgrund der durch den Algorithmus festgestellten Vorlieben mit Posts im Feed bestätigt. Bezahlte Anzeigen werden zielgruppenorientiert durch politische Akteure so gesteuert, dass die eigene Meinung zu einem Thema immer und immer wieder bestätigt wird. Die eigene Haltung wird dabei jedes Mal bestärkt. Zugleich werden andere Meinungen weniger akzeptiert. Dabei glauben und vertrauen wir praktisch „blind“ den vermittelten Bildern und Inhalten.
Wir verlieren gerade die Fähigkeit einen Dialog mit all seinen Facetten zu führen. Andere Meinungen oder Gedankengänge zuzulassen. Aushalten können, wenn andere Personen eine gegenteilige Meinung vertreten. Argumente sachlich wiedergeben können. Zuhören können. Ein Verständnis der Gegenseite aufbringen können - versuchen zu verstehen, welche Absichten oder Ideen die Gegenseite meint. Eine gemeinsame Lösung anstreben und Kompromisse eingehen.
"Wir sind nicht gleich. Wir sind aber gleichwertig."
Ich plädiere wieder zu mehr Dialogfähigkeit. Eigene Meinungen, seine eigene Haltung und Denkmuster im Diskurs mit anderen reflektieren. Nicht ausschliesslich der eigenen Überzeugung folgen. Die Qualität von Argumenten höher gewichten und einander zuhören. Ein hohes Empathievermögen kann uns dabei unterstützen, die Meinung anderer versuchen zu verstehen. Schlussendlich geht es um gegenseitigen Respekt: Ich bin nicht gleich wie du. Aber ich bin gleichwertig wie Du. Wie in der obigen Zusammenfassung beschrieben strebt ein Dialog immer eine Win-Win-Situation an: Unterschiedliche Meinungen Ja. Andere Meinungen zulassen Ja. Gegenseitige Toleranz Ja. Gegenseitig zuhören Ja. Gegenseitiger Respekt Ja.
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