Gelassenheit.
- Daniel
- 18. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Arbeiten wir, um zu leben? Oder leben wir, um zu arbeiten? Wie wir unser Leben gestalten ist sehr individuell. Was macht ein glückliches Leben aus?

Was ist Glück? Die Frage aller Fragen. Und eine, die sich der einfachen Antwort entzieht. Glück ist kein statischer Zustand, sondern ein schillerndes Geflecht aus Empfindung, Bewertung und Erfahrung. Es ist so individuell wie unser Fingerabdruck, beeinflusst von sozialen Beziehungen, Arbeit, Freizeit, Gesundheit und nicht zuletzt von unserem Selbstbild.
Aus psychologischer Sicht besteht Glück aus zwei Komponenten: einer emotionalen und einer rationalen. Die emotionale Seite umfasst unser momentanes Befinden: Freude, Zufriedenheit oder Frustration. Sie kann flüchtig sein, aber auch eine gewisse Stabilität über die Zeit hinweg entwickeln. Die rationale Komponente hingegen ist eine bewusste Bewertung unseres Lebens: Wie zufrieden bin ich mit meiner Partnerschaft, meinem Beruf, meiner allgemeinen Lebenssituation? Der amerikanische Psychologe Martin Seligman prägte den modernen Glücksbegriff wesentlich. In seinem Buch "Der Glücksfaktor" schlug er zunächst eine Formel vor:
G = V + L + W, also Glück = Vererbung + Lebensumstände + Wille.
Doch selbst er erkannte bald die Begrenztheit dieser Gleichung. Menschliches Glück lässt sich nicht berechnen. Stattdessen rückte Seligman den Begriff des Wohlbefindens in den Mittelpunkt, mit fünf tragenden Säulen: Sinn, Engagement, positive Emotionen, Beziehungen und Erfüllung. Nun aber möchte ich das Glück auf einer praktischen Sicht beleuchten.
Arbeit und Freizeit - ein fragiles Gleichgewicht
Arbeit und Freizeit sind zentrale Dimensionen unseres Wohlbefindens. Ein Blick auf die Entwicklung der Arbeitszeit in der Schweiz zeigt: Zwischen 1973 und 2003 sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 45,1 auf 41,7 Stunden. Seither bleibt sie relativ konstant (Quelle: Bundesamt für Statistik). Der OECD Better Life Index weist für die Schweiz rund 15 Stunden tägliche Freizeit aus, ein mittlerer Wert im internationalen Vergleich. Dänemark und Spanien liegen mit über 16 Stunden leicht darüber. Man könnte meinen: Wir haben heute mehr Freizeit als je zuvor. Und dennoch fühlen sich viele Menschen erschöpft, gehetzt, überfordert. Wie passt das zusammen? Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt dieses Paradox treffend: Nicht objektiver Zeitmangel, sondern ein „gefühlter Druck“ prägt unsere Gegenwart. Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto grösser scheint der Druck, alles nutzen zu müssen. Die permanente Reizüberflutung, das „FOMO“-Phänomen (Fear of Missing Out), und die ständige Vergleichbarkeit über soziale Medien verstärken dieses Gefühl. Selbst die Freizeit wird durchgetaktet, optimiert, produktiv gestaltet. Der griechische Philosoph Aristoteles unterschied zwischen zwei Formen des Lebens: dem „bios praktikos“, dem tätigen Leben und dem „bios theoretikos“, dem betrachtenden Leben. Er sah letzteres als das der Musse gewidmete Leben, als den höchsten Ausdruck menschlicher Existenz. Heute scheint genau dieses betrachtende Leben unterzugehen, in einem Alltag, der kaum noch Pausen kennt.
Die Kunst des Nichtstuns
In einer Welt, die Geschwindigkeit und Effizienz glorifiziert, wird das Nichtstun zur rebellischen Handlung. Dabei liegt gerade in der Untätigkeit eine Kraft, die wir kaum noch schätzen: Raum für Kreativität, Intuition, inneres Wachstum. Der französische Philosoph Blaise Pascal schrieb: „Alles Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.“ Vielleicht sind es gerade die stillen, leeren Momente, in denen sich echtes Glück zeigen kann, jenseits von Leistung, Vergleich und Zielerreichung.
Glück als Prozess, nicht als Ziel
Glück ist nichts Endgültiges. Es verändert sich mit unseren Lebensumständen, unseren Fragen und Prioritäten. Arbeit kann erfüllend sein, wenn sie Sinn stiftet, uns fordert und wachsen lässt. Doch sie sollte nicht zur einzigen Quelle unserer Identität werden. Ebenso bedeutsam ist die Freizeit, nicht nur als Ausgleich, sondern als Freiraum: für Begegnung, Kreativität, Langsamkeit und Stille. In einer beschleunigten Welt braucht es Mut, dem Ideal permanenter Selbstoptimierung zu widerstehen. Zeit ist kein Rohstoff, der effizient verwertet werden muss. Zeit ist die Bühne, auf der sich unser Leben entfaltet.
Bewusst leben, statt perfekt funktionieren
Sich regelmässig zu fragen, was uns wirklich guttut, jenseits von äusseren Erwartungen, kann uns wieder mit dem Wesentlichen verbinden. Vielleicht geht es am Ende nicht darum, „glücklich“ zu sein, sondern darum, die kleinen, echten Glücksmomente zu bemerken und ihnen mehr Raum zu geben. Oder, wie es Albert Camus formulierte: „Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Vielleicht liegt das Glück nicht im Ziel, sondern im bewussten Gehen des Weges.
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