Kontrollverlust.
- Daniel
- 15. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Manchmal stellt das Leben Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Wenn eine Nachricht alles verändert, bleibt nur Leere – und der Versuch, das Unbegreifliche irgendwie zu fassen. Ich habe darüber nachgedacht, was Schicksal bedeutet, ob man es verstehen, erklären oder gar messen kann. Und was bleibt, wenn Worte nicht mehr tragen?

Es gibt Momente im Leben, die sich unserer Kontrolle entziehen. Eine Diagnose, ein Anruf mitten in der Nacht, ein Satz, der alles verändert. Plötzlich ist da kein „Warum?“ mehr, das befriedigend beantwortet werden kann. Kein Plan, der aufgeht. Kein Sinn, der sich sofort erkennen lässt. Nur ein Vakuum und mit ihm eine Frage, die in solchen Momenten lauter wird als jede andere: Gibt es so etwas wie Schicksal? Ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich versuche, dem Unfassbaren Struktur zu geben. Ich will verstehen, einordnen, erklären. Als würde es leichter werden, wenn ich es in ein Konzept giessen könnte. Kausalität, Biologie, Statistik: alles greifbare Dinge. Aber sie helfen nur bedingt, wenn das Leben eine scharfe Kurve nimmt. Wenn das Selbstverständliche brüchig wird. Kann man Schicksal messen? Wahrscheinlich nicht. Es ist kein Wert, den man in Tabellen fassen kann, kein Parameter, der sich berechnen lässt. Es entzieht sich jeder Form von Logik und verlangt doch nach Annahme. Vielleicht liegt gerade darin sein Wesen: im Widerstand gegen unsere Vernunft. Im Gefühl, dass es Kräfte gibt, die grösser sind als unser Wollen, unsere Kontrolle, unser Verstehen. Ich glaube nicht an ein Leben, das wie ein Drehbuch vorgezeichnet ist. Aber ich glaube daran, dass das, was uns widerfährt, nicht immer erklärbar sein muss. Eine plötzliche Krankheit, ein Verlust, der den Alltag zerreisst, ein Moment, der alles auf den Kopf stellt, das mag Schicksal sein. Vielleicht.
Und doch: Das Wort Schicksal klingt schnell abgegriffen. Es liegt uns rasch auf den Lippen und bleibt bei der betroffenen Person oft ohne Wirkung. Ohne Trost. Ohne Halt. Kein echtes Verständnis. Welche Worte vermögen in solchen Momenten passend sein? Vielleicht sind es weniger Worte als Taten. Vielleicht braucht das Unsagbare nicht Erklärungen, sondern Nähe. Eine unterstützende Hand. Eine Umarmung. Ein stilles Nicken. Augenkontakt. Eine Stille, die Raum lässt für gemeinsame Traurigkeit. Wir neigen dazu, Worte zu finden, um der Ohnmacht zu entfliehen. Doch ich bin überzeugt: In der Stille liegt eine Kraft, die nicht heilt, aber tröstet. Wenn das Unbegreifliche das Leben kreuzt, hinterlässt es Spuren. Und wenn wir allein sind, die Nachricht nachhallt, der Raum stiller und die Gedanken lauter werden, dann spüre ich es: Hilflosigkeit. Ratlosigkeit. Ohnmacht. Manchmal möchte ich fliehen. Vor der Schwere, vor der Nähe, vor dem, was mich sprachlos macht. Gedanken werden zu dunklen Wolken, die über dem Alltag schweben. Die Kontrolle darüber scheint manchmal wie ein letzter Rettungsanker. Doch oft entgleitet sie mir einfach. In solchen Momenten denke ich an einen Satz aus dem Buch Da Leben ist ein vorübergehender Zustand von Gabriele von Arnim: „Liebe muss sein.“ Die Autorin beschreibt in ihrer zärtlichen und gleichwohl wuchtigen Erzählung, wie sie ihren schwerkranken Mann nach zwei Schlaganfällen pflegt. Einen Mann, den sie kurz zuvor eigentlich verlassen wollte. Sie zwingt sich, ihn zu lieben. Oder versucht es zumindest. Und ich frage mich: Kann man Liebe erzwingen? Kann man eine Emotion wie Liebe steuern? Gefühle kontrollieren zu wollen erscheint mir unmöglich und dennoch versuchen wir es. Vielleicht gelingt es nicht über den Kopf, sondern über das Herz. Indem wir uns hineindenken. Hineinfühlen. Der Spagat zwischen Kontrollverlust und dem verzweifelten Wunsch nach Halt erscheint mir unendlich kräftezehrend.
Ich habe im näheren Umfeld einige grössere oder kleinere Schicksalsschläge erlebt. Wenn ich zurückblicke, bleiben von diesen Zeiten oft nur verschwommene Erinnerungen. Nur einzelne Sekunden sind glasklar, eingebrannt in mein Inneres. Sie bleiben, unauslöschlich. Wenn das Leben plötzlich fremdbestimmt wird, wenn Kontrolle Illusion wird, dann funktioniere ich einfach. Ich bin da, wenn man mich braucht. Reiche eine Umarmung, wenn sie trägt. Halte Rituale aufrecht, die Kraft und Verbundenheit schenken. Und manchmal ist genau das genug. Nicht perfekt. Aber menschlich.



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